Kapitel 14: Österreich

Zwei Österreicher stellen sich vor 1

Marie-Therese Werdenberg, Musikstudentin in Salzburg 2

“Ich heiße Marie-Therese Werdenberg und bin Musikstudentin. 3 Ich komme aus Wien und könnte freilich dort bei meinen Eltern wohnen und an der Musikhochschule in Wien studieren. 4 Aber ich studiere lieber in Salzburg, weil ich mich hier besser auf das Klavierspielen konzentrieren kann. 5 In Wien gäbe es zwar mehr Konzerte, in die man gehen könnte, aber hier ist es ruhiger und gemütlicher . 6 Außerdem finden hier im Sommer die berühmten Festspiele statt und da habe ich die Gelegenheit, mit vielen Musikern in Kontakt zu kommen. 7

Ja, was wäre Österreich ohne seine Musiktradition? 8 Und umgekehrt : Was wäre die Musikgeschichte ohne Österreich? 9 Salzburg ist Mozarts Geburtsort . 10 Auch Haydn , Schubert , Bruckner , Mahler und Schönberg sind alle in Österreich geboren . 11 Beethoven und Brahms - beide deutsche Komponisten - haben in Wien ihre wichtigsten Werke geschrieben. 12 Und ohne Johann Strauß würde die Welt wahrscheinlich keine Walzer tanzen. 13

Aber ich sollte nicht nur über Musik reden, bloß weil das meine Leidenschaft ist. 14 Die Kulturgeschichte Österreichs hat der Welt eine ganze Menge gegeben. 15 In Wien um 1900 gab es z.B. ein besonders produktives und faszinierendes Kulturleben. 16 Die literarischen Werke von Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler sind ein Spiegel dieser sehr kreativen Zeit. 17 In der Malerei arbeiteten Künstler wie Gustav Klimt und Oskar Kokoschka. 18 Um diese Zeit gründete Sigmund Freud die Psychoanalyse . 19 Ich könnte noch viele Namen nennen, aber dann müssten wir fast den ganzen Tag hier sitzen.” 20

Dr. Ulrich Kraus, Psychologe aus Wien 21

“Mein Name ist Kraus und ich bin Psychologe . 22 Mit meinen Patienten und ihren Problemen habe ich mehr als genug zu tun; 23 erwarten Sie also nicht von mir, dass ich den Durchschnittsösterreicher analysiere. 24 Ich könnte aber mindestens versuchen, diesen Menschen - den homo austriacus - ein bisschen zu beschreiben. 25

Zunächst etwas Geschichte: 26 Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir Österreicher auf eine sehr alte und große Tradition stolz sind. 27 Die Habsburger Dynastie regierte jahrhundertelang über Deutsche, Ungarn, Tschechen, Polen, Italiener, Serben und eine Zeit lang sogar über Mexikaner. 28 Was man vom englischen Weltreich sagt, könnte man auch von Österreich sagen: 29 Die Sonne ging nicht unter über diesem Reich. 30

Heute spielt unser kleines Land eine viel bescheidenere politische Rolle. 31 Und dieser Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart hat zu unserem Humor und unserer Selbstironie beigetragen. 32 Manchmal habe ich das Gefühl, wir Österreicher sind unglücklich über unsere verlorene Größe, aber wir sind wenigstens glücklich, dass wir unglücklich sind. 33 Verstehen Sie diese witzige Melancholie, die sich selbst nicht ganz ernst nimmt? 34

Viele Österreicher würden den Unterschied zwischen sich und den Deutschen so ausdrücken : 35 Die Deutschen sind fleißig, aber die Österreicher gemütlich. 36 Die Wiener Kaffeehäuser könnten nicht existieren, wenn der Österreicher nicht gern stundenlang vor seinem Mokka säße und träumte. 37 Er philosophiert gern darüber, wie die Welt sein könnte. 38 Darum nennt man Österreich manchmal das Land des Konjunktivs: 39 ‘Alles würde hier besser gehen, wenn wir nur...’ oder ‘Das wäre möglich, wenn...’” 40

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